Württemberg als Vorbild

Ein Bericht von Stefan Benning über den Vortrag von Prof. Dr. Hermann Ehmer im Anschluss an die Jahreshauptversammlung am 4. März 2009

Im Anschluss an die Jahreshauptversammlung des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen am vergangenen Mittwoch im vollbesetzten kleinen Saal des Kronenzentrums referierte der ehemalige Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart, Prof. Dr. Hermann Ehmer, über die „Württembergische Große Kirchenordnung”. Er ordnete diese in den politischen und theologischen Zusammenhang ein und hob ihre Bedeutung für den Protestantismus weit über die württembergischen Landesgrenzen hinaus hervor.

Als Herzog Christoph im Jahre 1550 die Nachfolge seines verstorbenen Vaters Herzog Ulrich antrat, fand er politisch gesehen ein Trümmerfeld vor. Ulrichs Beteiligung am Schmalkaldischen Krieg der evangelischen Fürsten gegen den katholischen Kaiser Ende 1546 hatte die Besetzung des Landes mit spanischen Truppen zur Folge und die weitgehende Wiederherstellung katholischer Verhältnisse. Als Lehensträger des Kaisers hatte Ulrich mit seiner Kriegsbeteiligung den Lehenseid gebrochen. Damit drohte dem Haus Württemberg der Verlust des Herzogtums.

Mit einer Politik konsequenter Kaisertreue bemühte sich Christoph erfolgreich, das Verhältnis zum Kaiser wieder zu kitten und sich politische Freiräume zu schaffen. Schon auf dem Passauer Reichstag von 1552, der die konfessionelle Frage deutlich entschärfte, erhielt er aus der Hand König Ferdinand I. die Belehnung mit dem Herzogtum Württemberg. Damit war die Hauptgefahr gebannt. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 befestigte die konfessionellen Verhältnisse im Reich, womit auch die Reformation für Württemberg gesichert war. Nun konnte Christoph planmäßig an den Aufbau einer Landeskirche gehen. Waren unter seinem Vater die Verhältnisse noch sehr ungeordnet und provisorisch gewesen, so bemühte sich Christoph nun um die Vereinheitlichung des Landes in Theologie, Gottesdienstform und Kirchen(guts)verwaltung. Dazu diente der Erlass der „Großen Kirchenordnung” 1559.

Aber nicht nur im kirchlichen Bereich strebte er eine Vereinheitlichung an. In einer „Landesordnung” fasste er alle Polizeiordnungen zusammen, das „Landrecht” vereinheitlichte das Privatrecht und in einer „Maßordnung” wurden die lokalen Maße durch einheitliche Landesmaße ersetzt. Damit war Württemberg auf dem Weg zum frühmodernen Staat, und Herzog Christoph war dessen grundlegender Architekt.

Unterstützt wurde Christoph bei der Kirchenordnung von dem aus Schwäbisch Hall nach Württemberg geflohenen Johannes Brenz, der als theologische Kopf hinter dem Aufbau der Landeskirche stand. Er war es auch, der das württembergische Bekenntnis formulierte und auf dem Trienter Konzil zu verteidigen gedachte. Die Rolle Sebastian Hornmolds als administrativer Vorbereiter und Umsetzer der Kirchenordnung relativierte Ehmer etwas. Gleichwohl war es für Christoph von grundlegender Bedeutung, sich auf loyale und erfahrene Beamte wie Hornmold stützen zu können.

Im Folgenden ging Ehmer inhaltlich näher auf die Große Kirchenordnung ein, deren 19 Einzelordnungen sich vier Themenbereichen zuordnen lassen. Sie greifen weit über den engeren kirchlichen Bereich hinaus in den Alltag der Menschen ein: Gottesdienstordnung, Eheordnung, Schul- und Sozialwesen. So regelte die Gottesdienstordnung nicht nur den Gottesdienstablauf und den Kirchengesang (Gesangbuch erst ab 1583), sondern auch Taufe und Nottaufe (durch Hebammen), Trauung, (Kranken-) Kommunion und Begräbnis (immer mit Predigt), die Bekleidung des Pfarrers („Chorrock”) sowie die kirchlichen Feiertage. Neben den noch heute üblichen kirchlichen Hochfesten gab es damals auch noch sogenannte „halbe” Feiertage, an denen man nach dem Morgengottesdienst wie gewohnt seiner Arbeit nachging. Die geregelten Arbeitszeiten in der Industrialisierung ließen dies nicht mehr zu und so wurden die sogenannten „Aposteltage” im 19. Jahrhundert abgeschafft.

Um die Durchführung der Kirchenordnung, die Amtsführung der Pfarrer und Lehrer sowie den Gottesdienstbesuch von Gemeinde und Magistrat zu überwachen, führte die Kirchenordnung Visitationen ein, anfangs zweimal, ab 1589 einmal jährlich. Spezialsuperintendenten (Dekane) besuchten die ihnen anvertrauten Pfarreien und berichteten den Generalsuperintendenten. Diese fassten die Berichte zusammen und diskutierten sie im Synodus, der Oberbehörde, wo ggf. Maßnahmen getroffen wurden, um Defizite abzustellen. Der Berliner Aufklärer Friedrich Nikolai, der 1781 Württemberg besuchte, machte sich trefflich über diese Praxis lustig, in dem er ausrechnete, welche Papierberge für die Visitationen verschwendet wurden. Aber: Ein Teil der Visitationsprotokolle hat sich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart erhalten und bildet heute eine wichtige Quelle u. a. für die Ortsgeschichte.

Der erfolgreiche Aufbau der württembergischen Landeskirche führte dazu, dass die große Kirchenordnung als Vorbild für die späten Reformationen in anderen Territorien diente: in der Markgrafschaft Baden, der Kurpfalz, Hohenlohe, Limpurg, Öttingen, ja sogar in Braunschweig-Lüneburg (1568) und Kursachsen. Insofern kann man die Bedeutung der „Württembergischen Großen Kirchenordnung” gar nicht hoch genug einschätzen.