Euthanasieopfer aus Bietigheim-Bissingen

Ein Bericht von Manfred Kurz über die GV-Runde am 6. Februar 2013

Die Februarversammlung des Geschichtsvereins beschäftigte sich mit den Euthanasieopfern aus unserer Stadt. Der 16-jährige Referent Christian Hofmann hatte sich schon als Schüler der Realschule Bissingen zusammen mit einigen Mitschülern auf Anregung seines Lehrers Eugen Marx auf Spurensuche begeben, nämlich nach den Lebensumständen Gefallener aus Bissingen im 2. Weltkrieg.

Jetzt, als Auszubildender im hiesigen Stadtarchiv, befasste er sich mit den Euthanasieopfern aus unserer Stadt, die als behinderte Insassen verschiedener staatlicher und kirchlicher Anstalten im Laufe des Jahres 1940 in der Gaskammer der Tötungseinrichtung Grafeneck umgebracht wurden.

Im Herbst 1939 erging, berichtete Christian Hofmann, ein Befehl Hitlers, der geprägt war von den Gedanken des sog. Sozialdarwinismus, wonach gemäß dem Beispiel der Natur nur der Tüchtigere sich behauptet, auch bei Menschen eine Qualitätsauslese stattfinden müsse. Untüchtige und erbkranke Personen sollten der Gesellschaft nicht zur Last fallen, auch an der Fortpflanzung gehindert werden, z.B. durch Zwangssterilisation oder durch Gewährung eines „Gnadentodes”.

Als Folge dieses Befehls wurden im ganzen Reich nach Orten gesucht, die geeignet waren, sog. lebensunwerte Personen zu eliminieren. Dafür schien das einsam bei Münsingen auf der Schwäbischen Alb gelegene ehemalige herzoglich württembergische Jagdschloss besonders gut geeignet. In ihm war bisher ein Samariterstift für pflegedürftige Männer untergebracht. Dieses Heim wurde am 11. Oktober 1939 für „Zwecke des Reiches” beschlagnahmt.

Sogleich wurde mit der Einrichtung der Tötungsanstalt begonnen. Das etwa 100 Personen umfassende Personal wurde im ehemaligen Schloss untergebracht. Ein Parkplatz für die grauen Busse, die zum Transport der Opfer aus den verschiedenen Heimen und Anstalten dienten, wurde angelegt. Gleich daneben entstand eine nur für einen kurzfristigen Aufenthalt gebrauchte Baracke. Hier wurden die hergebrachten Personen entkleidet und von Ärzten pro forma untersucht. Diese entschieden v.a. anhand der Krankenakte, welche fiktive Todesursache später angegeben werden könnte. Gleich danach kamen die Kranken mit übergezogenen alten Militärmänteln über den Hof in die Gaskammer, die in der ehemaligen Remise eingebaut und als Duschraum getarnt war. Einströmendes Kohlenmonoxid tat dort seinen tödlichen Dienst. Gleich neben der Gaskammer standen die Krematoriumsöfen. Im Sonderstandesamt im Schloss wurde der Tod der Opfer mit falschem Datum und fiktiver Ursache beurkundet. Eine eigens eingerichtete Trostbriefabteilung sandte die Todesnachricht an die Angehörigen, auch, so der Referent, an die betroffenen Familien in unserer Stadt. Ihnen wurde angeboten, sich die Urne des Toten kostenfrei zuschicken zu lassen. Was die wohl enthielt? Wohl kaum die wahren Überreste des Toten, meinte Christian Hofmann.

Im Jahr 1940 wurden in Grafeneck etwa 1100 Menschen auf diese grausame Weise getötet. Darunter waren auch 13 Personen aus unserer Stadt (aus Bietigheim 9, aus Bissingen 3, aus Untermberg 1), die ursprünglich als Pfleglinge in verschiedenen Heimen in Württtemberg lebten.

Die letzten Tötungen in Grafeneck fanden am 13. Dezember 1940 statt. Darunter war die Kleinsachsenheimerin Frida Hartmann, zu deren Gedenken am 22. November 2011 in Kleinsachsenheim ein sog. Stolperstein eingelassen wurde.